Sexualität im Alter | Schwule in der Pflege

QueerPflege-LSBTIQ-Pflege Zwei ältere Männer sitzen auf einer Couch, einer hält eine Schallplatte in der Hand, und unterhalten sich in einem warm beleuchteten Wohnzimmer. Oben links ist das Logo „QUEER pflege.de“ zu sehen, das ihr Engagement für queersensible Pflege unterstreicht.

Unser Gastautor Jürgen Stolley ist selbst zur Zeit auf Pflege angewiesen und wohnt derzeit in einem Pflegeheim. Er setzt sich mit dem Thema Sexualität im Alter und der damit verbundenen Tabuisierung im Pflegeheim auseinander. Er betont, dass ältere Menschen weiterhin sexuelle Bedürfnisse haben können und dass es wichtig ist, in sozialen Einrichtungen Möglichkeiten für persönliche Begegnungen und Intimität zu schaffen. Jürgen stellt fest, dass Pflege- und Betreuungsteams manchmal unsicher sind, wie sie diese Bedürfnisse respektieren sollen, insbesondere wenn es Unterschiede im Alter oder in der kulturellen Sozialisation gibt. Er betont die Bedeutung von LSBTI*-Personen und fordert die Akzeptanz aller Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen auch in der Pflege. Unser Gastautor merkt an, dass die Ausbildung im Pflegebereich aktualisiert werden sollte, um den Bedürfnissen nicht-heterosexueller Menschen gerecht zu werden. Abschließend werden von Jürgen noch verschiedene Quellen und Organisationen benannt, die weitere Informationen und Unterstützung zu diesem Thema bieten.

Sexualität im Alter – ein Tabu? | Schwule in der Pflege

Sexualität ist ein naturgegebener Bestandteil des Lebens. Menschen (wie auch Tiere) brauchen das zur Reproduktion. Sexualität ist aber wesentlich mehr als nur der Akt zur Fortpflanzung der Art. Zur Sexualität gehört auch liebevolle Hinwendung zu anderen Menschen, letztlich — doch nicht ausschließlich — zur Partnersuche und -findung. Sexualität kann sich auch ausdrücken im Bedürfnis zum Kuscheln, zum Küssen oder einfach zum zärtlichen Körperkontakt wie bespielsweise Streicheln oder engen Umarmen.

Die teilweise anzutreffende Annahme, dass diese Bedürfnisse im Alter nicht mehr oder kaum noch vorhanden seien, ist ein Irrtum. Dem Kontaktbedürfnis älterer Menschen tragen soziale Einrichtungen Rechnung durch verschiedenste Organisationsformen, die unterschwellig auch ein Näherkommen ermöglichen.

In Pflegeheimen darf dies deswegen kein Tabu sein, wenn Bewohner immobil oder körperlich schwach geworden sind. Wichtig sind private Besuchsmöglichkeiten und informelle Plätze zur persönlichen Begegnung. Dazu kann auch eine sich ergebende oder erwünschte Sitzordnung in den Speiseräumen beitragen.

Im Leitbild des Domicil Kirchhofallee von 2004 steht:

„Wir achten [die] Persönlichkeit [der Bewohner] mit eigener Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und fördern dadurch das Wohlbefinden.“

und

„Wir sind motiviert, die Qualität unserer Tätigkeit kontinuierlich zu steigern, und orientieren uns an der Zufriedenheit der Bewohner.“

Rückzugsräume spielen in diesem Zusammenhang eine wesentliche Rolle, insbesondere falls Bewohner*innen nicht in Einzelzimmern untergebracht sind. Das Domicil Kirchhofallee bietet im Haus 2 im Wohnbereich 11 die gemütlich eingerichtete „Strandoase“ (nach Voranmeldung).

Sexualität in der Altenpflege – Berührungsängste?

Mitunter fühlen sich Personen in Pflege- oder Betreuungsteams unsicher, wie sie sexuelle Bedürfnisse der Bewohner*innen respektieren sollen oder können. Nicht immer fällt es leicht, die dazu sinnvolle Gesprächsebene zu finden, insbesondere bei Unterschieden im Alter oder der kulturellen Sozialisation.

Interessenverbände und Organisationen, die sich sowohl mit Themen der Sexualität als auch der Lebenswelt älterer Menschen befassen, haben dieses Phänomen aufgegriffen und Initiativen zur Verbesserung der Situation ergriffen bis hin zu konkretem Einfluss auf die Ausbildung. Siehe dazu weiter unten.

LSBTIQ* – Was heißt das?

Lebensformen und Lebensentwürfe haben sich im Lauf der Zeit weiterentwickelt. Das ausschließliche Festhalten am heterosexuellen Familienbild aus Mann, Frau und leiblichen Kindern hat gesellschaftlich signifikante Alternativen bekommen. Schätzungsweise 10 % der Gesellschaft sind nicht heterosexuell und können „Regenbogenfamilien“ bilden. Durch die gesetzliche Einführung der „Ehe für alle“ in Deutschland sind bisherige juristische Hürden abgebaut worden.

In diesem Zusammenhang ist es nützlich, die Bedeutung von „LSBTIQ* “ zu kennen. Diese Abkürzung steht für die Anfangsbuchstaben einer vielfältigen gesellschaftlichen Minderheitengruppe, die sich nicht mit der Mehrheitsgruppe heterosexueller Menschen identifiziert.

  • L lesbisch (Frau liebt Frau)
  • S schwul (Mann liebt Mann)
  • B bisexuell (Mensch liebt sowohl Mann als auch Frau)
  • T transgeschlechtlich (geborener Mann wurde im Leben zur Frau bzw. umgekehrt)
  • I intergeschlechtlich, divers (beschreibt Varianten der Geschlechtsentwicklung)
  • Q queer (engl. schräg, seltsam), Sammelbegriff für die LSBTIQ-Gesellschaftsgruppe

* Das Sternchen steht für alle weiteren geschlechtlichen Identitäten und sexuellen Orientierungen.

Queere Menschen verdienen Akzeptanz (nicht nur Toleranz), weil Ihnen als Menschen das Recht aller auf Würde zusteht. Sie sind nicht mehr oder weniger wert als andere Menschen.

Sexualität in der Pflegeausbildung – schon aktualisiert?

Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO e.V.) hat durchgesetzt, dass die Rahmenrichlinie des Pflegeberufegesetzes nun auch eine curriculare Einheit enthält, mit der den Lebensentwürfen nicht-heterosexueller Menschen Rechnung getragen wird (CE 09: „Menschen bei der Lebensgestaltung lebensweltorientiert unterstützen“).

In diesem Zusammenhang ist es auch für Pflegeberufe – die fast ausschließlich durch jüngere Menschen ausgefüllt werden – wichtig, von dem in Deutschland im Wesentlichen bis 1969 geltenden § 175 StGB gehört zu

haben. Dieser noch aus dem Dritten Reich stammende Paragraf des Strafgesetzbuches stellte homosexuelle Handlungen (auch geringfügigste) unter Männern unter Strafe. Frauen waren von diesem Paragrafen nicht betroffen. Die Folgen für die Lebensplanung homosexueller Männer waren durch § 175 StGB gravierend und konnten existenzzerstörend sein. Daher sollte es junge Pflegekräfte nicht verwundern, wenn ältere schwule Männer in Pflegeheimen sich nicht outen oder gelegentlich Vorbehalte gegenüber Maßnahmen der Intimpflege durch weibliches Personal haben. Hier ist Empathie und Respekt nötig.

Sexualität im Alter – Wo finde ich Informationen?

Wer die Thematik vertiefen möchte und über einen Internetzugang verfügt, findet hier weitere Informationen: ► Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO e.V.)

www.bagso.de

► Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS e.V.)

www.schwuleundalter.de

► HAKI e.V. (Kiel)

www.haki-sh.de

Seniorengruppe „Reife Früchte“

► Fibel „Echte Vielfalt“ des Ministeriums für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Schleswig Holstein
Fibel Echte Vielfalt – Echte Vielfalt (echte-vielfalt.de)

► Bundesstiftung Magnus Hirschfeld

www.mh-stiftung.de

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Andreas von Queer Pflege
Mein Name ist Andreas und ich lebe und arbeite in Berlin. Als Pflegeberater lerne ich viele Menschen kennen, die entweder selbst pflegebedürftig sind, Angehörige pflegen oder in der Pflege arbeiten. Oft wird mir berichtet, wie schwierig es ist, sich als queerer Mensch in der Pflegewelt zurechtzufinden. Mit meiner Erfahrung als Sozialversicherungsangestellter helfe ich queeren Menschen in der Pflege ehrenamtlich, Informationen und Unterstützung zu finden.
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